Ein Blick auf die Atmung
Liebe Leser*innen
einen Blick auf die Atmung werfen, das möchte ich mit diesem Artikel anregen. Im Austausch mit Personen unterschiedlichen Alters erfahre ich sehr häufig von Einschränkungen, Engegefühlen und Störungen im Atem. Mir fällt im Yogaunterricht auf, dass Fehlatmungen oft gar nicht mehr bemerkt werden. Erst wenn nach einer Übung die Atmung wieder befreiter und unbeschwerter fließt, entsteht ein Bewusstsein dafür, wie sie natürlicher Weise sein könnte. Die Atmung stellt aber wie unser „täglich Brot“ einen wesentlichen Faktor für unser körperliches und seelisches Wohlbefinden dar.
In den Körperstellungen des Yoga wird die Atmung unterschiedlich angeregt und gestaltet. Einige Stellungen fördern mehr das Strömen in die Weite und in die Rückenpartie, andere mehr das tiefe Durchatmen in den Bauchraum. Sie kann auch sensibel zu den Schlüsselbeinen hin oder zentriert im Herz-Atemraum empfunden werden. Die Atmung ist nicht nur auf die Lunge beschränkt, sondern ihre Bewegung strömt weiter in die umliegenden Regionen und als sogenannte innere Atmung über das Blut bis in jede einzelne Zelle des Körpers. Und von dort nimmt sie ihren Weg wieder zurück in den großen äußeren Luftraum.
Die Lunge selbst ist abhängig von der umliegenden Muskulatur und der Körperhaltung. Es ist treffender zu sagen, die Lunge wird „geatmet“, denn sie folgt den Bewegungen des Zwerchfells und der Rippenmuskulatur. Sie reagiert auch auf jede kleinste Bewegung. Heben wir nur ein Bein verändert sich schon geringfügig der Atem. Jede Yogastellung spricht den Atem auf andere Weise an. Üben wir z.B. den Fisch mit seiner spezifisch angesetzten Dynamik im Brustkorb, erleben wir nach der Übung eine Befreiung im Atemraum und weiter noch eine sensible Qualität, die die Atmung zu den Lungenspitzen hin verfeinert. Sehr vielfältig und reichhaltig findet die Atmung in den Yogastellungen Förderung, Anregung und Ausgleich. Das Besondere ist jedoch, darauf zu achten, dass die Atemschulung auf indirekte Weise stattfindet, d.h. allein durch die Formung des Körpers und über begleitende meditative Bilder, die uns zu einem tieferen Atemverstehen führen. Wir achten auf das freie, natürliche Fließen. Jeder willentliche Eingriff in den Atem, jede noch so geringe Manipulation würde sofort zu einer subtilen Anspannung führen.
Beobachten wir die individuellen Gegebenheiten für den Atemraum unseres Körpers und stellen uns dazu einige Fragen. Wie frei oder verspannt sind Kiefer, Hals und Schulterregion? Wie ist unsere Haltung im Bereich der Brustwirbelsäule? Welche Gewohnheiten prägen unsere Haltung? Ein Loslassen im Schultergürtel, ein solide aufgebauter Stand im Becken- und Beinbereich wird eine erste grundlegende Basis für das freiere Atmen geben. Weiterhin nimmt die Gestaltung der Brustwirbelsäule eine besondere Rolle für unsere aufrechte Haltung ein. Denn diese enthält oft Blockaden und steife unbelebt Zonen. Über die aufmerksame Wahrnehmung kann durch eine sorgfältige Gestaltung wieder eine Belebung und lichte Empfindung in diese Zonen hineingeführt werden. Der Atem erhält dadurch einen freien Raum und die nötige Stabilität im Brustkorb.
Mit ein paar Übungen und anleitenden Gedanken aus dem Neuen Yogawillen* kann täglich und bewusst ein neuer Aufbau für den Atem und unser seelisches Befinden geschaffen werden.
Wie fließt der Atem hier in der Yogastellung Waage?
Die Schultern bleiben gelöst und lassen den Atem leicht und ungehindert hindurchfließen. Das Standbein steht stabil und zentriert sich zum Becken. Je leichter der Atem fließt, desto mehr intensiviert sich die Stabilität im Standbein und es zentriert sich besser in das Hüftgelenk hinein. Der unbeschwert fließende Atem bringt ein befreiendes Element und bewirkt einen ästhetischen Ausdruck.
Grüße von
Ulrike Mayr
*Literatur: Heinz Grill – Der freie Atem und der Lichtseelenprozess